Adolph Menzel, Die Berlin-Potsdamer-Bahn, 1847

Die älteste Ansicht von dieser Gegend schuf 1847 Adolf Menzel mit seinem Gemälde Die Berlin-Potsdamer Bahn. Erkennbar ist, dass Berlin in einer Senke liegt, aus der sich eine Dampflokomotive in einem weiten Bogen durch die Landschaft auf den Weg in Richtung Potsdam macht. Etwa südlich davon lagen die Dörfer Wilmersdorf und Schöneberg. Nach einer Wegkreuzung tun sich hinter einem Bahnwärterhäuschen Hügel auf. Schon Menzel lässt erahnen, daß der Trassenbau zwischen Schöneberg und Steglitz nicht unbedeutend gewesen sein dürfte und reichliche Erdarbeiten erforderte. Immerhin wurde für den Signalberg an der Ecke Rembrandt- und Menzelstraße eine Höhe von 55 m verzeichnet.

 

Nachdem Schöneberg und Friedenau das Hineinwachsen der Stadt Berlin auf ihr Territorium machtlos hinnehmen mussten, entstand 1889 die Schöneberger-Friedenauer Terraingesellschaft mit einem Verkaufsbüro am Dürerplatz Nr. 1. Offeriert wurden Bauparzellen auch mit Bauerlaubnis in Schöneberg am Bahnhof Friedenau. Die Benennung der Straßen nach renommierten Malern war für die Gegend Hinter der Wannseebahn jedenfalls verkaufsfördernd. So gab es ab 12. Januar 1892 Straßen mit den Namen Carl Becker, Reinhold Begas, Antonio Canova, Lucas Cranach, Albrecht Dürer, Ludwig Knaus, Adolf von Menzel Peter Vischer, Rembrandt van Rijn, Peter Paul Rubens und Bertel Thorwaldsen. Die bisherige Straße Nr. 3 wurde zur Menzelstraße.

 

Sie erscheint im Berliner Adressbuch 1893 erstmals unter Friedenau, ab 1898 unter Schöneberg. In der Menzelstraße Nr. 1 bis Nr. 3 entstanden zwischen 1891 und 1894 etwa zeitgleich drei viergeschossige Mietshäuser. Die Besitzverhältnisse sind anfangs unklar. Als erster Eigentümer von Menzelstraße Nr. 1 Ecke Rembrandtstraße erscheint 1893 der Zimmermeister Schröder (Berlin). Im Adreßbuch von 1895 sind es Maurermeister Gustav Koch zu Schöneberg, Schlossermeister Rudolph Baumann zu Berlin und Architekt Rudolf Schröder (Berlin).

 

 

Menzelstraße Nr. 1

 

Das 1891-94 vom Regierungsbaumeister Ludwig Schmedes errichtete Mietshaus Menzelstraße 1, Rembrandtstraße 8, nutzt das spitzwinklige Eckgrundstück so stark aus, dass nur ein dreieckiger Vorgarten an der Nordseite und ein lichtschachtartiger Innenhof zwischen den beiden Flügeln frei bleibt. Von der Hauptfront an der Straßenecke, die ursprünglich mit hohem Walmdach, Giebelaufsatz und massiven Balkonbrüstungen eine imposantere Wirkung hatte, blickt man heute durch Schallschutzfenster auf Autobahn und Bahngleise. Die beiden Seitenfassaden werden durch risalitartige Standerker mit Dreiecksgiebeln und dazwischen gespannte Balkone gegliedert - auch hier fehlen die ehemals massiven Dekorbrüstungen. Von den mit gelben Ziegeln verblendeten Wandflächen sind das Sockelgeschoss, die Gebäude- und Erkerecken, die Rahmungen der Segmentbogenfenster sowie Blendbögen und Dekorformen in rotem Klinker abgesetzt, das Hauptgesims ist mit Konsolen und Spitzbogenblenden ausgeführt. Diesen gotisierenden Details entsprechen auch die beiden Eingangsportale mit spitzbogigen Rahmen und Maßwerk im Tympanon. (LDA Berlin, 2018)

 

INach 1900 erschien im Kunstverlag Robert Kregenow, Südende, Parkstraße Nr. 9, eine Ansichtskarte mit dem Text Gruss aus Friedenau - Signalburg. Gemeint war das Haus Menzelstraße Nr. 1 Ecke Rembrandtstraße Nr. 8, das auf der höchsten Erhebung zwischen Schöneberg und Steglitz, dem Signalberg mit einer Höhe von 76 Metern, errichtet wurde. Dort oben war nach 1832 für die 550 Kilometer lange optische Telegraphenlinie zwischen Berlin und Koblenz eine Telegraphenstation für die optische Übermittlung von Nachrichten eingerichtet worden. Mit der elektromagnetischen Telegraphie war das Ende der sogenannten Signalberge besiegelt. Auf der vom Centralblatt der Bauverwaltung 1882 veröffentlichten Eisenbahnkarte ist neben der Vorortstation Friedenau der Signalberg eingetragen. In dieser Gegend entstand östlich der Bahntrasse nach 1889 das Malerviertel.

 

Menzelstraße Nr. 2

 

Das viergeschossige Mietshaus Menzelstraße Nr. 2 mit Vorderhaus und Seitenflügel entstand 1891-92. Auf dem ersten Entwurf vom 24. Februar 1891 war noch der geforderte Mindestabstand von 2 Metern zum Nachbarhaus Menzelstraße Nr. 1 vorgesehen. Da dieser Bauwich mit der neuen Bauordnung von 1892 nicht mehr vorgeschrieben war, präsentierte der Architekt am 27. April 1892 eine Nachtragszeichnung mit Schnitt, Wohnungsgrundrissen und Details zur äußeren Gestaltung mit spitzen Pyramidendächern, Erkern und Balkonen.

 

Beim Bau der Häuser Menzelstraße Nr. 1 bis Nr. 3 war der Architekt und Zimmermeister Rudolf Schröder als Bauherr beteiligt. Für die dem Wetter besonders ausgesetzten Fassaden setzte er eine Verkleidung mit Klinkern durch, und knüpfte damit an die Friedenauer Landhäuser von Max Nagel und Otto Hoffmann an. Beide hatten sich aus eben diesen Gründen gegen verputzte Bauten ausgesprochen. Während bei Nr. 1 noch das typische Gelb der (vermutlich aus Glindow) stammenden Steine dominierte und zaghaft von roten unterbrochen wurde, entschied er sich bei seinem eigenen Entwiurf zum Haus  Nr. 2 für eine Fassade mit durchweg roten Klinkern, die bei Fenstern, Türen und Balkonbrüstungen mit weißen Abschlüssen kontrastriert wurden.

 

Das Haus blieb bis 1933 im Besitz der Familie. Es folgten diverse Eigentümer, bis es 1993 von einer Eigentümergemeinschaft erworben wurde. Diese stellte uns 2024 Lagepläne, Grundrisse, Schnitte, Raumaufteilungen, Details zur Fassadengestaltung und aktuelle Ansichten des Hauses für die Veröffentlichung zur Verfügung. Diese Dokumente stellen in etwa den Planungs- und Urzustand des Hauses in den 1890er Jahren dar, und entsprechen in etwa der heutigen Bausubstanz, was die Lage des hinteren Treppenhauses, Aufteilung der Wohnungen und Gewerberäume im Souterrain und Parterre betrifft. Das Besondere ist u. a. die Gestaltung der Backstein-Fassade im Hinterhof, die genauso aufwendig und prächtig mit wechselnden Fensterformen und Einfassungen gestaltet ist wie die Vorderfront. An der hinteren Fassade befinden sich einige Einschußspuren aus dem Zweiten Weltkrieg. Zu weiteren Bewohnern auch aus der Zeit des Nationalsozialismus ist uns leider nichts bekannt. Ein Versäumnis, da Heilborn, A., Dr., Schriftsteller ab 1937 im Berliner Adreßbuch unter Menzelstraße Nr. 2 eingetragen ist - und seine Ehefrau Margarete noch bis zu ihrem Tod 1959 in diesem Haus wohnte.

 

 

Da wir nach der Wiedervereinigung über die drei Berliner Friedhöfe in Stahnsdorf recherchiert hatten, erinnerten wir uns an Grabkarten aus dem Archiv des Wilmersdorfer Waldfriedhofs, auf denen die Menzelstraße Nr. 2 und der Name Heilborn eingetragen waren. Merkwürdig erschien uns seinerzeit, daß am 27. Oktober 1941 Dr. Adolf Heilborn in der Urnenstelle Abteilung H II und wenige Monate zuvor in derselben Grabstelle am 26. Mai 1941 eine Susanne Heilborn beigesetzt wurden. Als Hinterbliebene waren genannt Ehefrau Margarete Heilborn, Menzelstraße 2, sowie Schwester Luise Heilborn, Mainzer Straße Nr. 12. Da wir einen Grabstein nicht finden konnten, erhielten wir von  Friedhofsverwalter Erwin Mahlow eine Erklärung: In dieser Abteilung wurden in den DDR-Jahren Grabmale – zwecks anderweitiger Verwertung – entfernt. Geblieben sind nur die Sockel. Bis heute.

 

 

Adolf und Susanne waren die Kinder von Raphael Juda Heilborn und dessen Ehefrau Clara Marie Luise geb. Körbitz, beide mosaischer Religion. Die Eltern waren einst Inhaber eines Putz-, Posamentier- und Weißwarengeschäfts in der Potsdamer Straße Nr. 36. Am 11. Januar 1873 wurde Sohn Adolf geboren, danach die Töchter Luise (1874), Susanne (1882) und Käthe (1885).

 

Adolf Heilborn absolvierte das Köllnische Gymnasium und studierte Medizin und Naturwissenschaften. Nachdem er 1898 zum Dr. med. promoviert worden war, ging er als Schiffsarzt auf Weltreise: 1904 kehrte er zurück, wohnte bis 1916 in der Steglitzer Ahornstraße Nr. 10 und hielt im Kolonialmuseum zu Berlin volkstümliche Vorlesungen über Ostafrika, Neu-Guinea, Mikronesien und Kiatschou, die 1906 vom Leipziger Verlag Teubner gedruckt wurden. 1910 ist er Chefredakteur der Gegenwart, Wochenschrift für Literatur, Kunst und öffentliches Leben.

 

Heiratsurkunde Heilborn, 1917

Am 9. Oktober 1917 erschienen beim Standesamt Berlin-Schöneberg zum Zweck der Eheschließung der landsturmpflichtige Arzt, Doktor, wissenschaftliche Schriftsteller Adolf Heilborn, Dissident, und die Wirtschafterin Margarete Agnes Eleonora Martha Auth geb. Fiedler, evangelischer Religion, geboren am 16. Mai 1873 zu Elbing, Tochter des verstorbenen Mühlenmeisters Jakob Fiedler und seiner Ehefrau Maria geborene Barlach. Beide waren damals 44 Jahre alt, Margarete schon einmal verheiratet. 1895 hatte sie den Verkäufer Paul Oskar Auth geehelicht. 1896 wurde ein Sohn geboren, über den nichts weiter bekannt ist. Die Ehe ist 1908 geschieden worden.

 

Das Ehepaar Heilborn zog 1917 in den zweiten Stock der Schöneberger Menzelstraße Nr. 28. Hier wurde gewohnt, praktiziert und geschrieben. Im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek heißt es: Adolf Heilborn Arzt, Schriftsteller, Übersetzer und Verfasser populärwissenschaftlicher Schriften zur Biologie, Anthropologie sowie zu kulturhistorischen Fragen. Sein schriftstellerisches Werk ist kaum unter einen Nenner zu bringen. Er schrieb über Wurmkrankheiten (1925) und Fleischfressende Pflanzen (1930) und lieferte mit der Reise durchs Zimmer die Kulturgeschichte von Wohnung und Hausrat (1924). Nachdem 1921 in der Berliner Morgenpost eine Artikelfolge erschienen war, publizierte er 1925 Die Reise nach Berlin – ein romantischer Baedeker und Führer aus dem neuen Berlin ins alte. Für Georg Hermann spazierte Heilborn plaudernd und reminiszierend durch das Berlin seiner Jugend und holte aus seinem Gedächtnis interessante Begebenheiten und bisweilen köstliche Anekdoten hervor. Immer wieder macht er klar, in welcher Tradition er sich sieht, wenn er Adolf Glaßbrenner, Wilhelm Raabe und Theodor Fontane zitiert.

 

Seit Jahren sind seine Texte im Projekt Gutenberg-DE kostenlos und komplett zu lesen: Die Leartragödie Ernst Haeckels. Auf Grund von unveröffentlichten Briefen und Aufzeichnungen Haeckels, sowie der offiziellen Akten dargestellt (1920), Die Reise durchs Zimmer (1924), Die Reise nach Berlin (1925), Käthe Kollwitz (1924), Unter den Wilden. Entdeckungen und Abenteuer (1921) und Wilde Tiere, die unsere Jugend kennen sollte (1921).

 

Heilborns Schwester Luise studierte Literatur und Sprachen und wurde 1912 Dramaturgin bei der Deutschen Bioscop GmbH. 1917 zog sie als Luise Heilborn-Körbitz, Schriftstellerin, in den I. Stock des Gartenhauses Mainzer Straße Nr. 12 in Wilmersdorf. Ab 1920 arbeitete sie mit Regisseur Gerhard Lamprecht zusammen. Laut Filmographie schrieb sie 48 Drehbücher für Stummfilme. Ihre bedeutendste Arbeit war wohl das mit Alfred Fekete verfasste Drehbuch zur Romanverfilmung von Thomas Manns Buddenbrooks. Nachdem ihr Bruder Adolf Heilborn, der beste Freund des Meisters seit 30 Jahren, im Rembrandt-Verlag Berlin-Zehlendorf 1924 die Biographie Heinrich Zille publiziert hatte, schrieb Luise Heilborn-Körbitz 1925 das Drehbuch für den Milieu-Film Die Verufenen. Die Uraufführung fand am 28. August 1925 im Tauentzien-Palast und zeitgleich im Union-Theater Turmstraße statt – der einzige Film, in dem Zille selbst auftrat. In den 1930er Jahren zog sie sich aus gesundheitlichen Gründen aus der Filmwelt zurück und nahm in ihrer Wohnung Schwester Susanne auf. Die Lebensumstände der Enkelin jüdischer Großeltern während der Nazizeit sind nicht bekannt.

 

Adreßbuch 1937

Mit dem Runderlass vom 26. November 1935 galt Adolf Heilborn nach der nationalsozialistischen Terminologie als Mischling ersten Grades. Es folgten Berufsverbot und Aufgabe der Arztpraxis in der Menzelstraße Nr. 28. Seine letzten Texte, Berliner ABC – Allerlei aus 700 Jahren Berlin, wurden 1937 in der Berliner Morgenpost veröffentlicht. Da wohnte das Ehepaar Adolf und Margarete Heilborn schon in der Menzelstraße Nr. 2.

 

Am 6. Mai 1941 zeigte Heilborns Schwester Luise Henriette Heilborn-Körbitz (1874-1961), wohnhaft Berlin-Wilmersdorf, Mainzer Straße 12, beim Standesamt Berlin-Wilmersdorf an, daß Susanne Heilborn, ohne Beruf, gottgläubig, wohnhaft Berlin-Wilmersdorf, Mainzer Straße 12, geboren am 30. August 1882, am 6. Mai 1941 um 1 Uhr in Berlin-Wilmersdorf, Landhausstraße 33/35 (Friedrich von Bodelschwingh-Klinik), verstorben ist. Als Todesursache wurden eingeklemmter Leistenbruch und Herzschwäche eingetragen.

 

Sechs Monate später meldete der Vorsteher des Sankt Gertrauden Krankenhauses beim Standesamt Berlin-Wilmersdorf, daß der Schriftsteller und Doktor der Medizin Adolf Heilborn, gottgläubig, wohnhaft in Berlin-Friedenau, Menzelstraße 2, am 15. Oktober 1941 um 20 Uhr 45 Minuten verstorben ist. Als Todesursache wurden Lungentumor, Kachexie, Herz- und Kreislaufversagen eingetragen. Am 21. Oktober 1941 erfolgte die Einäscherung im Krematorium Wilmersdorf. Die Beerdigung fand am 27. Oktober 1941 um 14 ½ Uhr auf dem Wilmersdorfer Waldfriedhof in Stahnsdorf statt. Ihre letzte Ruhe fanden Susanne und Adolf Heilborn in der Abteilung H II, eine Urnengrab von 1x1 m, auf der seinerzeit bis zu neun Urnen untergebracht werden konnten. Das Nutzungsrecht am Grab wurde bis 1961 erworben. Witwe Margarete Heilborn wohnte bis 1959 in der Menzelstraße Nr 2. Sie starb am 27. August 1959 im Alter von 86 Jahren. Ihre Ruhestätte ist nicht bekannt.

 

 

 

Nach 1945 soll sich die unverheiratete Luise Heilborn-Körbitz um die Neuauflage der volkstümlich-naturwissenschaftlichen Bücher ihres Bruders gekümmert haben. Sie starb am 15. Januar 1961 im Alter von 87 Jahren in der DRK-Klinik Drontheimer Straße in Berlin. Ihre Ruhestätte ist unbekannt. Jahre später schrieb die Zentral- und Landesbibliothek Berlin, Referat Provenienzforschung, am 12. Juli 2018 an die Friedhofsverwaltung, daß sich in unserem Bestand Bücher befinden, die an die Beraubten bzw. deren Familien zu restituieren sind. Für eine dieser Restitutionen sind wir auf der Suche nach Familienangehörigen von Adolf Heilborn. Ein Ergebnis ist uns nicht bekannt.

 

EXKURS Wilmersdorfer Waldfriedhof Stahnsdorf

 

Die Anlage wurde 1921 auf einer Fläche von siebzig Hektar nach Plänen des Charlottenburger Gartendirektors Erwin Barth angelegt. Da der Friedhof bis Ende der 1930er Jahre weitgehend unbelegt blieb, erfolgten für die Speersche Nord-Südachse 1939 Umbettungen von den Schöneberger Friedhöfen, darunter der Sarg des 1935 verstorbenen Malers Hans Baluschek. Auf weiteren Flächen entstanden Massengräber für Berliner Bombenopfer. Nach dem Mauerbau geriet der Berliner Friedhof in Stahnsdorf in einen Dornröschenschlaf, wurde aber über die deutsch-deutsche Grenze hinweg weiterhin vom Bezirksamt Wilmersdorf unterhalten. So kam es, daß der im Osten lebende Friedhofsverwalter Angestellter des Bezirksamtes war und seinen Lohn aus dem Westen erhielt, was nach der Auszahlung 1:1 erheblich über dem sozialistischen Durchschnitt lag. Geblieben ist nach der Wiedervereinigung ein wunderbarer Landschaftspark mit Tal und Brücke, auf dem Grabsteine an Arthur Eloesser, Willy Jaeckel, Hugo Lederer, Paul Levy, John Henry Mackay, Hans Otto oder Gustav Heinrich Wollf erinnern.

 

Nachtrag

 

In der Menzelstraße Nr. 2 lebte von 1993 bis 2017 die Schriftstellerin Herta Müller: Im Jahr 2001 begann sie, Gespräche mit ehemals deportierten aus meinem Dorf aufzuzeichnen. Ich wusste, dass auch Pastior deportiert war, und erzählte ihm, dass ich darüber schreiben möchte. Er wollte mir helfen mit seinen Erinnerungen. Wir trafen uns regelmäßig, er erzählte, und ich schrieb es auf. Doch bald ergab sich der Wunsch, das Buch gemeinsam zu schreiben. Als er 2006 starb, hatte ich vier Hefte voller handschriftlicher Notizen, dazu Textentwürfe für einige Kapitel. Erst nach einem Jahr konnte ich mich durchringen, das Wir zu verabschieden und allein einen Roman zu schreiben. Ohne Oskar Pastiors Details aus dem Lageralltag hätte ich es nicht gekonnt.

 

Verständlich, da Herta Müller erstmals 2004 in Begleitung von Ernest Wichner das sowjetische Arbeitslager in der Ukraine besuchte, in dem der homosexuelle Oskar Pastior als Zwangsarbeiter fast fünf Jahre interniert war. Als Oskar Pastior am 4. Oktober 2006 während der Buchmesse in Frankfurt am Main verstarb, hatte Herta Müller vier Hefte voller handschriftlicher Notizen, dazu Textentwürfe für einige Kapitel.

 

Pastiors in Friedenau lebende Landsleute Herta Müller und Ernest Wichner sorgten für die Beisetzung der sterblichen Überreste in der 1x1 Meter großen Urnen-Wahl-Grabstätte Nr. 34-1 auf dem Friedhof an der Stubenrauchstraße. Danach wurde bekannt, daß Pastior ein Testament für einen namentlich festgelegten Personenkreis hinterlassen hatte, darunter Herta Müller und Ernest Wichner. Seinem Wunsch gemäß wurde im April 2008 im Literaturhaus Berlin die Oskar-Pastior-Stiftung gegründet, die alle zwei Jahre den mit 40.000 Euro dotierten Oskar Pastior-Preis vergibt. Sein Nachlass ging an das Deutsche Literaturarchiv in Marburg.

 

Im März 2009 wurde von Herta Müller das Nachwort für Atemschaukel geschrieben. Der Roman war vollendet und erschien im Hanser Verlag München, der seit 1963 auch die Werke von Oskar Pastior publizierte. Im Julii, August und September 2009 erschienen in Focus, Welt, Tagesspiegel, Süddeutscher Zeitung, FAZ und Neue Züricher Zeitung die Rezensionen. Am 22. September 2009 wurde am letzten Wohnhaus von Pastior in der Schlüterstraße 53 eine Gedenktafel enthüllt.

 

Im Dezember 2009 ging der Literatur-Nobelpreis an Herta Müller, da sie laut Stockholmer Nobel-Komitee mittels Verdichtung der Poesie und Sachlichkeit der Prosa Landschaften der Heimatlosigkeit zeichnet. Sie schreibt völlig ehrlich, mit einer unglaublichen Intensität. Sie hat wirklich eine Geschichte zu erzählen. Und sie hat die sprachlichen Möglichkeiten dazu. Die Kommentare waren eindeutig. Für Günter Grass hatte die Jury so entschieden, und die werden Gründe gehabt haben. Marcel Reich-Ranicki wollte nicht über die Herta Müller reden. Hintergrund ist wohl die häufig vorgebrachte Kritik, daß die Preisträger oft eher wegen des gesellschaftspolitischen Engagements als für ihre literarischen Werke bekannt sind.

 

Atemschaukel ist ein als Hardcover aufgeblähter Roman von 299 Seiten mit 64 Kapiteln, von denen einige Texte kaum eine halbe Buchseite füllen. Ein junger Rumäne erzählt rückblickend in Ich-Form über seine fünf Jahre in einem sowjetischen Straflager. Das gewählte Ich ist zumindest irritierend, da die Autorin nicht näher gekennzeichnete Details aus dem Lageralltag von Oskar Pastiorverarbeitet“ hatte. Die Frage bleibt: Was stammt von ihr und was von ihm?

 

2010 wurde bekannt, daß Oskar Pastior in den 1960er Jahren unter dem Decknamen Otto Stein inoffizieller Mitarbeiter des rumänischen Geheimdienstes Securitate war. Herta Müller war entsetzt. Es wäre zu der Zusammenarbeit wohl nicht gekommen, wenn ich von seiner Verstrickung gewusst hätte. Nichtsdestotrotz erfüllte der von Pastior namentlich festgelegte Stiftungsrat mit Herta Müller und Ernest Wichner Pastiors testamentarischen Willen: Es gab die Oskar-Pastior-Stiftung, den Oskar-Pastior-Preis und schließlich ab 2016 auch noch ein Berliner Ehrengrab für Oskar Pastior auf dem Friedhof an der Stubenrauchstraße. Nachdem die Nutzungsrechte für das benachbarte Schwartzkopfsche Grab 34-2 abgelaufen waren, wurde aus der Pastiorschen Ruhestätte Grabstelle Nr. 34-1-2. Korrekt wurde darauf geachtet, daß der rötliche Backstein mit der Inschrift Ehrengrab Land Berlin auf Nr. 34-1 seinen Platz fand, und ganz korrekt teilte Pastiors Freund Ernest Wichner am 2. September 2016 mit, daß für das erweiterte Grab in Teilen die Stiftung und ansonsten Herta Müller und ich für alle Kosten aufkommen, die mit Oskar Pastiors Grab zu tun haben.

 

Inzwischen lebt die Autorin im angesagten Charlottenburg. Friedenau bleibt ein Literatur-Nobelpreisträger. Er wurde 1999 für sein Lebenswerk ausgezeichnet. So unrecht hatten Günter Grass und Marcel Reich-Ranicki wohl nicht. Dieser Nobelpreis hat ein Geschmäckle.

 

Menzelstraße 3, 2014

Menzelstraße Nr. 3

 

Der Architekt und Bauherr Rudolf Schröder schuf das viergeschossige Mietshaus mit Souterrain und einem Seitenflügel Menzelstraße Nr. 3. Die Straßenfassade ist symmetrisch gegliedert. Die Mittelachse betont einen Standerker mit hohem Rundbogenportal. Souterrain und Hochparterre sind verputzt, während an den drei Hauptgeschossen der Kontrast von schmalen rot verklinkerten Wandstreifen mit dem hellen Stuckdekor der kräftigen Fensterrahmungen in Formen der Neorenaissance das Bild bestimmen. (LDA Berlin, 2018)

 

Menzelstraße Nr. 5

 

Von dem Grundstück Menzelstraße Nr. 5 Ecke Beckerstraße Nr. 17 sind Aufnahmen aus den Nachkriegsjahren erhalten. Am 25. November 1953 fotografierte Herwarth Staudt im Auftrag des Baulenkungsamtes Schöneberg gestapelte Trümmer auf dem Gelände der Menzelstraße 5 Ecke Beckerstraße 17. Am 18. Oktober 1979 entstand die Aufnahme eines Wandbildes an einer Brandwand an einem Spielplatz in der Menzelstraße  5-6 und der Beckerstraße 17 von Jürgen Henschel (1923-2012), der über zwei Jahrzehnte als Pressefotograf für die Tageszeitung Die Wahrheit der Sozialistischen Einheitspartei Westberlins (SEW) tätig war. Seine Bilder gaben den sozialen Auseinandersetzungen ein Gesicht. 1991 überließ er dem Kreuzberg Museum rund 20.000 Negative, darunter Aufnahmen von Friedenau und Schöneberg, die vom Museum Schöneberg übernommen wurden.

 

 

 

 

 

 

Menzelstraße 11, 1954. Sammlung Staudt, Museum Schöneberg

Menzelstraße Nr. 11

 

Foto von Herwarth Staudt, aufgenommen am 6. Januar 1954 im Auftrag des Baulenkungsamtes Schöneberg.

 

 

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Menzelstraße Nr. 12

 

Das linke Foto mit der komplett erhaltenen Fassade wurde am 22. Mai 1951 von Herwarth Staudt im Auftrag des Baulenkungsamtes Schöneberg aufgenommen.

 

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Menzelstraße 14-16, 1951. Sammlung Staudt, Museum Schöneberg

Menzelstraße Nr. 16

Friedrich Wendel (1886-1960)

 

Der Schriftsteller Friedrich Wendel leitete von 1924 bis 1928 die Buchgemeinschaft Der Bücherkreis. 1924 veröffentlichte er im Dietz-Verlag Hans Baluschek. Eine Monographie. Das Buch blieb bis zur Gedächtnis-Ausstellung 1948 die einzige Veröffentlichung zu Hans Baluschek:

 

Leser, der du kein Sozialist bist, du wirst vielleicht am Schluss dieses Buches fragen, war es nötig, eine Einführung in das Werk des Künstlers Baluschek vom Standpunkt erklärter sozialistischer Parteinahme zu geben? Ja, es war nötig. Um Himmelswillen nicht deshalb also, um die Darstellung eines Lebenswerkes von ernstestem künstlerischen und kulturellen Wert zur Propagierung jener Ideen auszunützen, die die Menschheit des Baluschekschen Stoffgebietes beherrschen und bewegen. Es war nötig aus dem Grunde, weil der hier betrachtete Künstler die Ideenwelt des Sozialismus vertritt, in ihr das Regulativ seines Lebens gefunden hat und von ihr die Gesundung einer leidenden Zeit erwartet. Man kann die entscheidenden Linien seines Werkes nicht erfassen, wenn man ihm nicht auf den Boden seiner Weltanschauung folgt. Die Betrachtung und das Studium seines Werkes ist keine Angelegenheit des dreimal verfluchten „Erholungs-Bedürfnisses“, dem zu diesen Gedankenlosigkeit den künstlerisch produktiven Menschen zwingen will. Was Baluschek geleistet hat, ist Arbeit – Arbeit am Bau der Einung, nach der Millionen Seelen schreien.

 

Menzelstraße 17, 1951. Sammlung Staudt, Museum Schöneberg

Menzelstraße Nr. 17

 

Fotografie des zerstörten Eckhauses in der Menzelstraße 17 Ecke Peter-Vischer-Straße 1, aufgenommen von Herwarth Staudt am 16. März 1951 im Auftrag des Baulenkungsamtes Schöneberg.

 

 

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Menzelstraße 30. LDA

Menzelstraße Nr. 30

Entwurf und Bauherr Architekt Richard Draeger (1857-1923)

 

Auf der Erbbegräbnisstätte Draeger an der Begrenzungsmauer zur Fehlerstraße (Abt. Ia 174/175) haben viele Familienangehörige ihre letzte Ruhe gefunden – im Mittelpunkt die Stele mit der Inschrift Richard Draeger, Architekt, Gemeindeältester zu Friedenau, * 18.10. 1857, † 4.1.1923. Angelegt wurde die Familiengrabstätte offensichtlich erst nach seinem Tod.

 

Richard Draeger wird im Adressbuch erstmals 1888 unter Handjerystraße Nr. 7 aufgeführt. 1889 ist er bereits Inhaber eines Büros für Bauausführungen, Handjerystraße Nr. 7. Im Jahr 1893 erwirbt er das Haus Albestraße Nr. 30, zu dem später noch die Anwesen Wielandstraße Nr. 31 (1896) und Kirchstraße Nr. 26/27 (Schmiljanstraße) hinzukommen. 1899 wurde Draeger zum Gemeindeschöffen gewählt wurde. Zu diesem Zeitpunkt hatte er als Architekt mit einigen viergeschossigen Mietswohnhäusern Zeichen gesetzt. Es war nur eine Frage der Zeit, bis Richard Draeger von der Gemeindevertretung in die Ausschüsse für Bauwesen und Straßenbauten gewählt wurde. Eine heftige Debatte gab es in der Gemeindevertretung am 1. März 1912. Der Bildhauer Valentino Casal hatte 1899 das Grundstück Wilhelmstraße Nr. 7 (Görresstraße) mit einem weit in die Tiefe reichenden Areal erworben und mit dem Atelier V. Casal bebaut. Als die Gemeinde Friedenau unter Gemeindebaurat Hans Altmann den Bebauungsplan änderte und die Straße 12 (ab 1910 Bachestraße) anlegte, reichten die Bauten über Vorgarten und Bürgersteig hinweg bis 6,40 m in die Bachestraße hinein. Nun sollte der Engpass beseitigt werden. Die Gemeinde hat allerdings die Rechnung ohne den Wirt gemacht.

 

 

 

 

Der Friedenauer Lokal-Anzeiger berichtet: Herr Casal hat Gegenvorschläge gemacht. Danach will Herr Casal mit seinem Grundstück bis zur Vorgartengrenze zurücktreten, er verlangt aber, daß ihm die Gemeinde dann nach der Wilhelmstraße einen neuen Schuppen errichtet. Die Kosten hierfür würden etwa 10.000 M. betragen. Ferner beansprucht er die Freistellung von jeglichen Anliegerbeiträgen, was ebenfalls einen Betrag von 2700 M. er geben dürfte. Auch die Kanalisations- und gerichtlichen Kosten müsse die Gemeinde tragen, so daß 12-14.000 M. Kosten der Gemeinde erwachsen würden. Außerdem stellt Herr Casal aber noch die Bedingung, daß der Streifen, den er abtrete, ihn als bebauungsfähige Fläche angerechnet werde. Dass ihm solches genehmigt würde, sei aber ganz ausgeschlossen. Selbst wenn man alle diese Bedingungen anerkennen würde, wäre doch noch nicht reiner Tisch gemacht, da das Gebäude immer noch in den Bürgersteig hineinspringen würde.

 

Die Gemeindevertreter waren uneins. Für den einen war der Engpass dort nicht so schlimm, es ist Raum genug vorhanden für die Feuerwehr und der Verkehr werde auch sonst nicht behindert. Wenn sich die Nachbarn über das unschöne Aussehen beschweren, so mögen sie doch die Kosten der Beseitigung tragen. Ein anderer war der Ansicht, dass der Herr noch ganz von selbst kommen werde, das sei nur eine Frage der Zeit. Das Grundstück gewinne ja auch nur an Wert, wenn es geregelt wird. Und ein dritter meinte, dass da eine öffentliche Verkehrsstörung vorliegt und man den Besitzer zur Abtretung des Geländes zwingen könne. Darauf erwiderte Schöffe Richard Draeger, dass das Enteignungsrecht der Gemeinde selbstverständlich frei stehe, aber man müsse dann das ganze Grundstück erwerben, mindestens aber das Atelier. Die Neuerrichtung des Ateliers könne Herr Casal dann aber verlangen. Die Angelegenheit wurde vertagt. Mit dem Ersten Weltkrieg wurde der Italiener Valentino Casal enteignet und später entschädigt. Am 22. März 1922 wurden die auf die Bachestraße ragenden Bauteile abgerissen. Als es im Jahr 1900 um die „Zustimmung zur Durchlegung der Baufluchtlinie der Hähnelstraße auf Schöneberger Gebiet (zur Sponholzstraße)“ ging, referierte Draeger: Die Fahrbahnbreite soll 11,50 m breit, die Bürgersteige je 3,75 m und die Vorgärten je 4 m breit projektiert sein. Schöneberg hat in allen seinen Friedenauer Straßen 4 m breite Vorgärten, während die Vorgärten der Gemeinde Friedenau die Breite vom 6 m ausweisen.“ Danach wurde allgemein die Ansicht geäußert, dass „die 6 m Breite auch in der Hähnelstraße beibehalten werden.

 

Gravierender waren allerdings die Probleme mit Wasser und Abwasser. Die Gründer von Friedenau hatten an einen Villenvorort im Grünen gedacht. Wasser kam aus privaten Brunnen der Grundstücke, Abwasser ging in den Schwarzen Graben. Der Spezialist für Stadtreinigung und Kanalisation Friedrich Wilhelm Büsing (1834-1904) war 1886 nach Friedenau gezogen und von 1888 an ehrenamtlicher Berater der Gemeindevertretung. Gemeinsam mit Richard Draeger haben sie sich mit dem Zustandekommen der gemeinsamen Wasserversorgung und Entwässerung zwischen den Charlottenburger Wasserwerken sowie Schöneberg, Wilmersdorf und Friedenau hervorragende Verdienste erworben. Ganz uneigennützig war das nicht. Der Architekt und (teilweise auch) Bauherr Draeger hat in Friedenau eine Reihe von ansehnlichen Mietswohnhäusern geschaffen, an denen wir uns auch nach über einem Jahrhundert noch erfreuen: Albestraße Nr. 30, Goßlerstraße Nr. 8, Roennebergstraße Nr. 15, Schmiljanstraße Nr. 26/27, Wielandstraße Nr. 31, Handjerystraße Nr. 86, Hedwigstraße Nr. 7a, Wielandstraße Nr. 14a/Hedwigstraße 12/12a, Beckerstraße Nr. 8 sowie Menzelstraße Nr. 29 und Menzelstraße Nr. 30. 

 

Am 7. Februar 1918 hatte die Gemeindevertretung die Wiederwahl des stellvertretenden Amts- und Gemeindevorstehers Gemeindeschöffen Architekt Richard Draeger beschlossen und vom Landrat bestätigt wurde. Während der Sitzung am 20. Februar 1919 wurde mitten in den Verhandlungen unserer Gemeindevertretung der Gemeindeschöffe Architekt Draeger plötzlich von einem Unwohlsein befallen. In seiner Nähe sitzende Herren sprangen sofort hinzu und führten ihn aus dem Saal. Gemeindeverordneter Sanitätsrat Dr. Thurmann leistete ihm sofort ärztliche Hilfe und stellte einen Schlaganfall, der eine rechtsseitige Lähmung zur Folge hatte, fest. Richard Draeger verstarb am 4. Januar 1923. Nach einem Tod wird Witwe Marta Draeger geborene Heider (1870-1938) sowohl als Eigentümerin des Hauses Albestraße Nr. 30 als auch Kirchstraße Nr. 26/27 genannt. 1936 übernimmt sein Sohn Dipl. Ing. Winfried Draeger (1892-1974) und spätere Bundesbahnoberrat das Anwesen.

 

Oswald Gette, Spätsommertag an der Havel, 1905. Berlinische Galerie

Menzelstraße Nr. 33

Oswald Gette (1872-1941)

 

Oswald Gette (1872-1941) wurde „Maler der Mark“ genannt. Der Blick auf seine (noch) zugänglichen Bilder macht aber deutlich, dass er sich mit „märkischen Landschaften“ zurückhielt. Es mag daran liegen, dass Gette zwar 1872 in der Lausitz geboren wurde, aber schon als Vierjähriger nach Westpreußen kam. Da wurde sein Vater Georg, Regierungsbaurat der preußischen Staatseisenbahn, nach Graudenz versetzt. Als Vorstand der Eisenbahn-Betriebs-Inspektion II hatte er jene Übereinkunft umzusetzen, die Deutschland und Rußland für eine Trasse von Marienburg über Graudenz nach Warschau vereinbart hatten.

 

Graudenz war Kreisstadt, lag an der Weichsel und hatte etwa 17.000 Einwohner. Es gab eine Oberrealschule und ein „Königlich Evangelisches Gymnasium“. Sein Vater war 1899 noch immer in der Rehdener Straße Nr. 20 wohnhaft. Da hatte der Sohn bereits Landschaftsmalerei an der Berliner Kunstakademie hinter sich und sein Pastell auf Pappe „Landschaft mit Birken“ auf der Großen Berliner Kunstausstellung 1894 präsentiert.

 

 

In der Zeitschrift „Moderne Kunst“ wurde der 22jährige für seine „neue Romantik der Landschaftskunst“ gefeiert, weil diese Malerei „nicht das Ungewöhnliche und Ferne, sondern das Nahe, Scheinbar-Gewöhnliche und dennoch nicht tief genug Erkannte“ darzustellen suchte. Oswald Gette sah es als Glück an, dass er an der Seite von Karl Hagemeister (1848-1933) schaffen durfte, auch im Meisteratelier von Albrecht Hertel (1843-1912), und weist dankbar auf seine Lehrmeister Hans Fredrik Gude (1825-1903), Eugen Bracht (1842-1921) und auf Walter Leistikow (1865-1908) hin.

 

Nachdem er auf den Großen Berliner Kunstausstellungen von 1902 und 1908 seine Arbeiten „Am Müggelsee“ und „Letztes Eis“ gezeigt hatte, wurde den Kritikern klar, dass „Oswald Gelte zwar kein Vollendeter, wohl aber ein guter Vertreter jener neuen Richtung unserer Malerei sei, die mit inniger Liebe dem geheimnisvollen Walten der Kräfte nachspürt, wie sie sich in der Landschaft regen“.

 

1915 zog Oswald Gette nach Neu-Friedenau, zuerst mit Wohnung in der Beckerstraße Nr. 25 und Atelier in der Peter-Vischer-Straße Nr. 15, dann in die Menzelstraße Nr. 33, wo er bis zu seinem Tod 1941 wohnte. Seine Bilder sollen im Preußischen Landtag und im Rathaus Schöneberg gehangen haben. Was an Gemälden geblieben ist, gelangte auf Auktionen. So auch das Ölgemälde „Große Luft“ von 1907, das die Berlinische Galerie 1980 erwerben konnte, und sich mit Gettes „Spätsommertag an der Havel“ (1905) ein weiteres Bild gesichert hatte.

 

Er malte „Frauen bei der Feldarbeit“ (1894), „An der Havel“ (Zeichnung, 1895), „Winter im Rohr“ (o.J.), „Kap Arkona auf Rügen“ (1908), „Frühling auf dem Land“ (1913), „Der Arkensee in Tirol“ (o.J.), „Herbstabend“ (o.J.), aber immer wieder Graudenz und die Weichsel, irgendwie vergleichbar mit Leistikow und seinen vielen Darstellungen von mit Kiefern gesäumten Seen. Von Leistikow den Grunewald, von Gette Westpreußen: „Graudenz, Weichselufer mit Wehrspeicher“ (1895), „Graudenz“ (1904), „Weichselblick“ (1905), „Das alte Graudenz. Blick auf die Stadt vom gegenüberliegenden Ufer der Weichsel“ (o.J.), „Herbstmorgen an den Ufern der Weichsel“ (1906), „Steilküste bei Graudenz, Abend an der Weichsel“ (1907), „Das alte Graudenz, Blick vom Schlossturm“ (1909), „Weichselkähne bei Graudenz“ (1920). Einige Werke von Oswald Gette befinden sich in der Berlinischen Galerie, im Westpreußischen Landesmuseum Warendorf und im Museum des heutigen Grudziądz.

 

Menzelstraße 34, 1956. Sammlung Staudt, Museum Schöneberg

Menzelstraße Nr. 34

 

Die Grundstücke Menzelstraße Nr. 23-29 & Nr. 31-34 waren noch 1898 im Besitz der Schöneberg-Friedenauer-Terraingesellschaft, was bedeutet, dass die Gesellschaft für die schon parzelierten und wohl auch technisch erschlossenen Grundstücke keine Abnehmer gefunden hatte. 1901 ist die Gesellschaft selbst als Eigentümer eingetragen. Für das Mietswohnhaus mit Seitenflügel sind im Adressbuch von 1901 zwölf Parteien eingetragen. 

 

Die Fotografie mit dem Titel Dach des zerstörten Hauses in der Menzelstraße Nr. 34, wurde am 3. März 1956 von Herwarth Staudt  im Auftrag des Baulenkungsamtes Schöneberg aufgenommen..

 

 

 

Menzelstraße Nr. 35 & Nr. 36

 

Das Häuser Menzelstraße Nr. 35 und Nr. 36 wurden 1900/01 errichtet, vermutlich nach Entwürfen aus dem Baubüro von Moritz Stöckel. Bauherr und Eigentümer war der Tischlermeister Carl Richter, Fürstenwalde a. d. Spree, Seelower Straße Nr. 12. Während in Nr. 35 neben den Mietswohnungen noch im Erdgeschoss ein Laden für Lebensmittel vorgesehen wurde, war Nr. 36 nur für Mietswohnungen vorgesehen.

 

Die Aufnahmen von den ziemlich zerstörten Häusern wurden von dem Fotografen Herwarth Staudt im Juni und Juli 1950 im Auftrag des Baulenkungsamtes Schöneberg aufgenommen. Es war vorauszusehen, dass beide Häuser für den Abriss freigegeben und später Neubauten genehmigt wurden.

 

 

Menzelstraße 37, 1950. Sammlung Staudt, Museum Schöneberg

Menzelstraße Nr. 37

Ecke Rembrandtstraße Nr. 9

 

Das Kuriose an diesem Grundstück ist, dass die Nr. 37 bis zum Jahr 1900 weder im Bebauungsplan der Schöneberg-Friedenauer Terraingesellschaft noch im Adressbuch existiert. Das fünfgeschossige Haus Menzelstraße Nr. 37 Ecke Rembrandtstraße Nr. 9 wurde 1901/02 von einem bisher unbekannten Architekten errichtet. In Betracht kämen die Baumeister Richard Draeger, Moritz Stöckel oder Tischlermeister C. Richter aus Fürstenwalde a. d. Spree, die seinerzeit ringsum ähnliche Mietshäuser geschaffen hatten. Als Eigentümer und wahrscheinlich auch als Bauherr ist Bankier Oscar Haffer mit Bankgeschäft in Berlin NW Händelstraße Nr. 12 eingetragen. Im Haus gab es von Anfang an acht Wohnparteien und eine Gastwirtschaft. Der Eigentümerwechsel begann bereits 1903. Vor dem Bombentreffer während des Zweiten Weltkriegs ist 1943 Frau M. Wolff-Sebottendorff, wohnhaft Nikolassee, Wahrmundzeile Nr. 31, als Besitzerin eingetragen.

 

Das einzig erhaltene Foto wurde am 17. Juni 1950 vom Fotografen Herwarth Staudt im Auftrag des Baulenkungsamtes Schöneberg aufgenommen. Das teilweise zerstörte Haus wurde als nicht erhaltenswert eingestuft und abgerissen. Auf dem Gelände entstand später ohne Rücksicht auf die eigentlich historisch gebotene Blockrandbebauung ein quer zur Straße gestellter Neubau unter der Adresse Menzelstraße Nr. 35-36, so dass Nr. 37 bis heute als Baulücke übrigblieb. Auf Grund des gegenwärtig anhaltenden Berliner Verdichtungswahns ist nicht auszuschließen, dass Bebauungspläne bereits in der Schublade liegen.