Von der Bedürfnisanstalt zum Café
1. Akt
Am 31 März 1910 verkündete der Friedenauer Lokal-Anzeiger,, daß die Bedürfnisanstalt auf dem Maybachplatz am 1 Aprl der öffentlichen Benutzung übergeben wird. Das kleine Häuschen (nach einem Entwurf von Gemeindebaurat Hans Altmann (1871-1965) ist in der reizvollen Stilform der sogenannten Bergischen Bauweise errichtet worden, jenen Stil des 18. Jahrhundert, der noch heute in den Gegenden des Niederrheins und der Wupper in zahlreichen Fachwerkgebäuden zu finden ist. Die Anstalt dient zwei Zwecken: 1. sie enthält eine öffentliche Bedürfnisanstalt für Männer und Frauen und 2. eine solche für die Turner und Turnerinnen des Spielplatzes in der Lauterstr. Die Aufsicht über diese Anstalt führt eine Wartefrau, für die ein besonderer Raum in dem Gebäude vorgesehen ist.
Es dürfte allerdings nicht lange mehr dauern, bis diese, den modernen feuerpolizeilichen Vorschriften allerdings nicht entsprechenden Gebäude von der Bildfläche verschwunden sind. Es ist bemerkenswert, daß in Friedenau ein neues unter Anlehnung an die Formen dieses reizvollen, dem Untergänge geweihten Baustiles, aufgeführtes, der modernen Zeit angepaßte Architekturwerk errichtet worden ist. Diesen Prophezeihungen zum Trotz hat der Bau bis heute überlebt.
2. Akt
In den 1970er Jahren wurde das Fachwerkhäuschen unter Denkmalschutz gestellt und die Bedürfnisanstalt geschlossen. Erhalten ist eine Aufnahme vom 20. November 1978 von Jürgen Henschel (1923-2012), dem Pressefotografen der Tageszeitung Die Wahrheit der Sozialistischen Einheitspartei Westberlins. Einige Jahre später flatterte dem Bezirksamt Schöneberg eine Idee auf den Tisch. Aus der ehemaligen Bedürfnisanstalt sollte das Café Park-Oase werden. Die Verwaltung griff zu und schloß einen Pachtvertrag ab. Damit war das herrenlose Häuschen wenigstens in den warmen Jahreszeit in guten Händen. Mit viel Engagement und noch mehr Improvisation gelang es Pächter Werner, die Park-Oase zu einem beliebten Treffpunt zu machen.
Unübersehbar war allerdings, daß das Bezirksamt in sein selbstverschuldetes marodes Eigentum hätte investieren müssen. Das Amt lehnte ab. Werner gab die Hoffnung nicht auf: Bald ist es hoffentlich soweit und der Frühling kommt! Sobald die Tagestemperaturen über +12 Grad erreichen, wird erstmals wieder an den Wochenenden für Sie geöffnet sein. Frost und Rohrbrüche legten die Park-Oase lahm. Im Mai 2013 gab Werner auf. Die Grünanlagen wurden nicht mehr gepflegt, die wassergebundenen Wege waren nach Regen nicht zu nutzen, Vandalismus war angesagt, Graffity an Fenstern, Türen und Dach. Das Baudenkmal von 1909 wurde zum Schandfleck.
3. Akt
Im September 2016 kam ein Bauschild: Fachwerkpavillon am Perelsplatz. Denkmalgerechte Sanierung und Umbau. Bauzeit: September 2016 bis Oktober 2017. Bauherr Bezirksamt Tempelhof-Schöneberg. Planung und Bauleitung Hagemann & Liss Architekten. Außenanlagenplanung Dr. Ing. Anke Werner. Kurz danach wurde um, am und im Häuschen einfrig gewerkelt einfrig gewerkelt – akribisch und durchaus denkmalwürdig.
4. Akt
2017 machte das Bezirksamt Schöneberg bekannt: Pavillon auf dem Perelsplatz soll vermietet werden. Das Straßen- und Grünflächenamt sucht mit einem Interessenbekundungsverfahren zum 1. Januar 2018 einen engagierten und zuverlässigen Mieter für den denkmaigeschützten Fachwerkpavillon auf dem Perelsplatz. Die erforderlichen Unterlagen können Bewerber abfordern. Zum 31. August 2017 lud das Bezirksamt zu einer Objektbesichtigung ein. Es kamen einige Gschaftlhuber und mehr Nachbarschaft. Bei offiziell angekündigten jährlichen Betriebskosten von 2.300 €, erforderlichen privaten Investitionen von ca. 10.000 Euro und einer in der Höhe noch nicht definierten monatlichen Miete hielt sich das Interesse in Grenzen.
Kein Wunder. Ein Pächter sollte zusätzlich einiges übernehmen: 1. Fachgerechte Pflege und Unterhaltung der zur Pachtfläche gehörenden Straßen- und Grünflächen. 2. Übernahme sämtlicher Genehmigungs-, Anschaffungs- sowie Rückbaukosten. 3. Fachgerechte Instandhaltung des Gebäudes, der Außenflächen und technischen Anlagen. 3. Bereitstellung des Gäste-WC's für die Allgemeinheit während der Öffnungszeiten (Angemessene Benutzungsentgelte dürfen erhoben werden, die Reinigung der WC's obliegt dem Pächter). 4. Übernahme aller Betriebskosten (Strom, Gas, Wasser, Abwasser, Telefon, Einbruchmeldeanlage, Wartung für Heizung und Schornsteinfeger). 5. Übernahme sonstiger Betriebskosten, die im Zusammenhang mit der Pachtfläche regelmäßig anfallen (Straßenreinigung, Grundsteuer, Feuerversicherung). 6. Abschluss aller mit dem Betrieb des Objektes erforderlicher Versicherungen (Gebäude- und Haftpflichtversicherung einschl. Vandalismus- und Einbruchschäden). 6. Die Räume sind ganzjährig zu beheizen, auch bei Abwesenheit.
Am 19. September 2017 teilte das Bezirksamt mit, daß die Frist zur Abgabe eines Angebotes bzw. Konzeptes bis zum 31.12.2017 verlängert worden und ein neuer Besichtigungstermin für den 5. Dezember 2017 angesetzt ist. Inzwischen waren die Grünflächen saniert, Wege und Plätze am Häuschen mit Kleinpflaster belegt. Errichtet war auch ein holzverkleiderter Schuppen. Wieder war ein Dutzend Bewerber gekommen. Ihnen wurde schnell klar, dass es mit der geplanten Eröffnung im Frühjahr 2018 nichts werden würde. Obwohl das Bezirksamt von Anbeginn eine Nutzung als Café mit kleiner Gastronomie vorgesehen hatte, wozu gewisse Vorausetzungen geschaffen werden müssen, kam die Hiobsbotschaft hinzu, daß ein Pächter auch die Kosten in Höhe von 3.800 Euro für den Einbau eines Fettabscheiders übernehmen müsse – neben Verhandluungen mit den Berliner Wasserbetrieben für die Pflege der (doch) kommunalen Grünanlagen.
Im Innern war einiges geschehen. Die Aßenwände waren mit Heizkörperplatten tapeziert. Deutlich wurde aber, dass auf den 22 Quadratmetern Innenraum kaum 15 Sitzplätze unterzubringen sind. Zu berücksichtigen ist nämlich, dass auf dieser Fläche noch Platz für eine Theke und obendrein für die Einstiegsluke in den Keller von 0,80m x 1,80m freigehalten werden muss. Und da war auch noch das Dachgeschoss, einzige Möglichkeit für ein Warenlager. Da die Deckenluke nur über eine angelegte Leiter im Innern zugänglich ist, müssten dort jeweils Tische, Stühle und Gäste beiseite geräumt werden. Deutlich wurde, daß das Projekt Bedürfnisanstalt als Café nur ein Sommer-Projekt werden konnte.
I
5. Akt
Im August 2017 wurden die Ausgaben mit über 500.000 € beziffert. Diese Summe dürfte inzwischen um einiges überschritten sein. Genaue Zahlen sind vom Bezirksamt nicht zu erhalten, wohlweislich, da für das Projekt die grünen Stadträte Christiane Heiß (Straßen- und Grünflächenamt) und Jörn Oltmann (Bauamt) zuständig sind. Sie ist nicht mehr und er ist nur über eine Zählgemeinschaft von Die Grünen, SPD und Die Linke zum Bürgermeister von Schöneberg gemacht worden. Als solcher verkündete er im August 2019, daß zum 1. September 2019 ein Pachtverhältnis für ein familienbetriebenes gemütliches Café abgeschlossen wurde. Das firmiert inzwischen als Witty Stories Café unter der Adresse Perelsplatz Nr. 1. Laut Webseite https://wittystories.de/ und Betreiber Christopher Stern ist das Etablissement außer am Mittwoch jeweils von 11 bis 18 Uhr geöffnet. Ob das auch für die kalte Jahreszeit gilt, entzieht sich unserer Kenntnis. (4. Februar 2024)