Sintflutbrunnen
Am 20. Oktober 1908 erfuhren die Friedenauer Gemeindevertreter, dass die Terraingesellschaft Südwest beabsichtigt, vor dem Friedhof einen monumentalen Denkmalbrunnen mit plastischem, figürlichem Schmucke aufzustellen. Die Gemeindevertretung wird ersucht, sich mit der Ausstellung der Anlage auf dem Hamburger Platz nach Maßgabe der vorgelegten Skizzen einverstanden zu erklären. Das Modell des Brunnendenkmals ist von dem hiesigen Bildhauer Herrn Aichele modelliert.
Einfach durchwinken wollten die Gemeindevertreter die Sache nicht. Architekt James Ruhemann fragte an, ob nicht die Ausführung anderen Künstlern übertragen werden könne und ob es sich um dieses Denkmal handeln muß. Anderen passte es gar nicht hin, da Friedhof mit der Sündflut doch gar keinen Zusammenhang habe.
Gemeindebaurat Hans Altmann hatte derartige Ausführungen nicht erwartet: Das Modell war in der Kunstausstellung ausgestellt. Die Gemeinde bekommt ein Geschenk und hat nur darüber zu bestimmen, ob sie dieses Geschenk annimmt, alles andere ist Angelegenheit des Geschenkgebers. Der Künstler fertigt es für den billigen Preis nur aus Liebe zu Friedenau, er begnügt sich mit dem geringen Verdienst, den er vielleicht noch an der Ausführung hat, nur um Friedenau ein gutes Kunstwerk aufzustellen. Dass das Denkmal hier nicht hinpassen solle, kann er nicht finden. Im Gegenteil, die Sündflut ist doch aus dem Religionsunterricht jedem bekannt und ihre ernste Bedeutung verbindet sich doch würdig mit dem Gedanken an die Abgeschiedenen auf dem Friedhofe. Das Denkmal stellt die Sündflut dar. Ein Felsen ist von einer Mutter, die ihr Kind im Arm hält, erklommen, noch andere Menschen sind bestrebt, diese Höhe zu erreichen.
Bei dem Bildhauer handelt es sich um Paul Aichele (1859-1924), der zuerst in die Kaiserallee Nr. 97 wohnte und dann in die Hackerstraße Nr. 2/3 gezogen war. Was Aichele als Monumentalskulptur geschaffen hatte, war bereits auf der Großen Berliner Kunstausstellung 1906 als Mutter und Kind in Marmor zu besichtigen sowie 1908 in Alabaster auf Marmorsockel als Sintflut-Fragment.
Am 4. Juli 1909 wurde der Sintflutbrunnen auf dem Hamburger Platz enthüllt. Georg Haberland, Chef der Terrain-Gesellschaft Berlin-Südwesten, lieferte die Begründung: Im Herbst des Jahres 1906 ist die Anlage des Südwestkorsos von der Gemeinde Friedenau beschlossen worden, ein neuer Straßenzug, der den Südwesten Berlins durchschneidet und von der aufblühenden Kolonie Dahlem eine direkte Verkehrsstraße durch die Kaiser-Allee mit der Stadt bildet. Kaum zwei Jahre nach seiner Anlage ist ein großer Teil des Korsos bereits der Bebauung erschlossen worden. Diese Allee bedarf einer Unterbrechung, eines Ruhepunktes, auf dem das Auge mit Wohlgefallen ruht und kein anderer Ort scheint geeigneter für einen solchen, als dieser Platz. Der Brunnen ist das Werk des Bildhauers Aichele, der sein Atelier in Ihrem Gemeindebezirk hat. Das reizvolle Modell hat allgemeinen Beifall auf der Kunstausstellung im Jahre 1908 gefunden. Der Brunnen stellt die Sintflut dar, Gestalten, welche sich vor der herandrängenden Flut auf den Felsen flüchten. Die Sintflut war jene Umwälzung unseres Erdballs, aus der in größerer Pracht sich Berge und Meere, Wälder und blumengeschmückte Wiesen entfaltet haben. Der Brunnen soll daran erinnern, dass nach den Schrecknissen jener Umwälzung die warme Sonne des Friedens auf die Erde niederleuchtete, dass aus dem nassen Grabe der Erde ein neues schönes und üppiges Weltall entstand.
Bürgermeister Bernhard Schnackenburg dankte namens der Gemeinde Friedenau für das wunderbare Kunstwerk. Der „Sintflutbrunnen" stellt sicherlich ein ganz hervorragendes Kunstwerk dar. Die Anordnung der den Brunnen zierenden Gestalten, der Ausdruck von Furcht und Angst in den Gesichtszügen der Figuren und die besonders im Denkmal ausgeprägte Mutterliebe und die Liebe des Mannes zum Weibe sprechen innig zum Herzen. Trotz der nackten Darstellung der Figuren findet die Sinnlichkeit doch keine Nahrung, sondern wir können nur eine edle Auffassung beim Beschauen der Denkmalsgruppe gewinnen.
Ab und an wurde an den Sintflutbrunnen erinnert, so 1978 von Fotograf Herwarth Staudt in der SEW-Zeitung Die Wahrheit, auch Heinrich Dreidoppel, Lehrstuhlinhaber für Zeichnen und Malen an der Universität der Künste. Aufmerksamkeit erreichte das Auktionshaus VAN HAM, als Paul Aicheles auf der Großen Berliner Kunstausstellung 1906 präsntierte Skulptur Mutter und Kind unter dem Titel Sintflut-Fragment versteigert wurde.
Wiederholt hatten wir auf dieser Webseite die Schäden am Sintflutbrunnen dokumentiert und das Bezirksamt um Abhilfe gebeten. Genützt hat auch der Appell von Bildhauerei in Berlin nichts, die den Zustand mit verschmutzt, biogener Bewuchs und Abplatzungen bei den Figuren beschrieb..
Am 6. Juli 2019 wurde bekannt, daß der Perelsplatz in Zusammenarbeit mit dem Landesdenkmalamt in den nächsten Jahren gartendenkmalpflegerisch wiederhergestellt wird. Die Maßnahmen erfolgen in einzelnen Bauabschnitten je nach Verfügbarkeit finanzieller Mittel.
Am 7. April 2021 überraschte die (inzwischen von einer Radlobbyistin ausgebootete) Grünspezialistin Bezirksstadträtin Christiane Heiß mit der Schlagzeile Sanierung des Perelsplatzes geht voran. Von den insgesamt 5 Teilabschnitten sind bislang 4 Bauabschnitte realisiert worden. Weitere geplante Maßnahmen auf dem Perelsplatz sind die Sanierungen des Sintflutbrunnens, des Brunnenplatzes und des Spielplatzes. Außerdem der 5. und letzte Bauabschnitt (Kriegerdenkmal Erster Weltkrieg).
Im Mai 2023 wurde der Sintflubrunnen plötzlich eingezäunt. Am 11. Mai 2023 werkelten zwei Handwerker unter Aufsicht eines eifrig mit dem Smartphon dokumentierenden Baubeamten. Auf unsere Frage, ob der Brunnen nun saniert oder nur wieder geflickt wird, erhielten wir die Antwort: Das versuchen wir gerade herauszufinden. Mit Hammer und Meisel legten sie die Wunden an Skulptur, Beckenrand und Beckenboden frei. Alles viel schlimmer als von uns je gedacht.
Anfang Juli 2023 hing ein Schild am Zaun: Denkmalgerechte Restaurierung des Sintflutbrunnens einschließlich Instandsetzung der Brunnentechnik. Bauherr Senatsverwaltung für Stadtentwicklung. Mit im Boot Landesdenkmalamt und Untere Denkmalschutzbehörde Schöneberg. Planung Farrak & Schubert Restaurationen GbR Berlin. Ausführung Ellwart Steinrestaurierung GmbH & Co. KG Berlin.
Im Herbst war die Skulptur restauriert. Die Arbeiten am maroden Brunnenboden und die Sanierung der Sandsteineinfassung stehen noch an. Die Brunnensaison beginnt in Berlin traditionell am Donnerstag vor Ostern. Das ist der 28. März 2024. Bis dahin bleibt dem Bezirksamt Schöenberg nicht viel Zeit.