Wilhelmshöher Straße Nr. 6
Günter Bruno Fuchs (1928-1977)
HIER IN DIESEM HAUS IST DER DICHTER UND GRAPHIKER GÜNTER BRUNO FUCHS AM 19. APRIL 1977 ACHTUNDVIERZIGJÄHRIG VERSTORBEN. Dass der Tod den freischaffenden Trinker in der Güntzelstraße Nr. 53 ereilte, war eher Zufall. Es hätten auch seine Arbeitswohnungen in der Wilhelmshöher Straße Nr. 6 (1968/69) und Wilhelmsaue Nr. 138 (1969/70) oder gar die Salzburger Straße Nr. 8 sein können, die er 1969 nach seiner Kreuzberger Zeit mit Galerie Zinke und Werkstatt Rixdorfer Drucke als gemeinsame Wohnung für seine Mutter Frida, seine Tochter Anja und sich selbst als ständiges Domizil gemietet hatte. Nun aber fand ihn Mutter Frida Bobert geb. Fuchs in der Güntzelstraße tot vor der Schreibmaschine, in die ein leeres, weißes Blatt eingespannt war, den Telefonhörer in der Hand.
Am 29. April 1977 wurde er auf dem Friedhof Columbiadamm beerdigt. Wer oder was ist Günter Bruno Fuchs? Ist er nun Zeichner oder Dichter, das eine mehr, das andere auch, oder beides zur Hälfte, fragte Christoph Meckel in seiner Totenrede auf Günter Bruno Fuchs an eine gedachte Trauergemeinde. Meckel, Dichter und Graphiker in einem, wurde mit dieser Frage selbst häufig konfrontiert, bis er klarstellte: Ich habe von Anfang an Graphik und Literatur gleichzeitig gemacht. Günter Bruno Fuchs auch.
Ein genialer Mensch ist gestorben, das ist leicht gesagt
die Freunde kommen und sind mit ihm einig
die Freunde aus der DDR sind mit ihm einig und können nicht kommen
sie telefonieren, daß sie nicht kommen können und lassen sagen, daß sie anwesend sind
es kommen auch ein paar Leute, die man nicht sieht
es kommt Peter Hille mit dem Papierschnitzelsack und sagt: Fuchs, mal ganz ehrlich, hältst du es für
möglich, daß irgendein Mensch in dieser weltweit verlorenen Stadt weiß, wer wir sind? …
Am 25. September 1990 erhob der Berliner Senat das Grab N 25-128/129 auf dem Friedhof Columbiadamm zur Ehrengrabstätte des Landes Berlin. Nach 25 Jahren war es dem Rot-Grünen-Senat 2015 mit der Ehre genug. Das Grab wurde sich selbst überlassen. Die Akademie der Künste Berlin handelt nicht besser. Als eine von der Bundesrepublik Deutschland getragene Körperschaft des öffentlichen Rechts muss sie sich fragen lassen, ob sie die Sache der Kunst in der Gesellschaft noch angemessen vertritt. Es genügt nicht mehr, das Archiv als das bedeutendste zur Kunst des 20. Jahrhunderts herauszustellen, in dem sich seit mehr als vier Jahrzehnten die Günter-Bruno-Fuchs-Sammlung befindet, deren Erschließungszustand aktuell mit unerschlossen angegeben wird. Peinlich ist es, wenn dazu ein Foto von Günter Bruno Fuchs und Günter Grass präsentiert wird, ohne den Hinweis, dass Fuchs in der Galerie Zinke 1959 für eine frühe Präsentation der graphischen Arbeiten von Grass gesorgt hatte. Auf was wartet diese Akademie mit ihren vielen unerschlossenen Sammlungen? Wer, wenn nicht sie, ist gefordert, das Material öffentlich zu machen, damit der Verlust an Erinnerung (wenigstens) begrenzt wird.
Auf der nachfolgenden PDF finden Sie den kompletten Text der Totenrede von Christoph Meckel. Wir danken dem Fotografen Dietmar Bührer für die 1975 entstandenen Porträtaufnahmen von Günter Bruno Fuchs.
Wilhelmshöher Straße Nr. 18
Adam und Greta Kuckhoff
Mehr Fehler konnte die Historische Kommission zu Berlin im Jahr 1990 auf dieser Gedenktafel gar nicht unterbringen. Adam Kuckhoff war kein Publizist, sondern Schriftsteller, der nach seinem Roman Scherry (1931) für Adolf Grimme zu den Naturen gehörte, denen der Erfolg erst gekommen sein würde. Adam Kuckhoff war nicht Regisseur am preußischen Staatstheater, sondern Dramaturg. Er wohnte dort nicht ab 1939, sondern zog 1937 in die Wohnung seiner späteren Ehefrau Greta Kuckhoff geborene Lorke ein.
Das alles hätten die Historiker mühelos recherchieren können. Am 26. Februar 2016 teilte uns der Inhaber des Lehrstuhls für Deutsche Geschichte im 20. Jahrhundert an der Humboldt-Universität und (neue) Vorsitzende der Historischen Kommission zu Berlin mit: Dass Greta Kuckhoff auf der Tafel nicht erwähnt wird, ist in der Tat ein Versäumnis.
Das Haus, in dem wir von 1936 bis 1942 wohnten, war von einem damals als „kühn“ eingeschätzten Architekten, Muthesius, gebaut worden. Es war, glaube ich, einmalig in seiner Art, jedenfalls damals. Von einer großen Diele gingen in jeder Wohnung die Türen zu drei oder vier Zimmern ab. Die Miete war höher als in Wohnungen gleicher Größe sonst. In die Diele führte ein Essenaufzug von einer zentralen Küche, wo man sich - schon nicht mehr, als ich einzog - das Menü aussuchen konnte. Muthesius oder der Bauherr hatte an Dichter und bildende Künstler als Mieter gedacht. Nur hatte er sich getäuscht: Hatten sie Geld - hatten sie auch ein Haus. Hatten sie das nicht im Übermaß, so aßen sie nur selten zu Hause, weil sie in der Stadt Lektorats- oder Verlagsverhandlungen führten, vielleicht neben der freien Tätigkeit auch noch irgendwo angestellt waren. Kurzum, der Koch kam nicht auf seine Rechnung und hatte sich enttäuscht das Leben genommen. Jetzt war in jeder Wohnung eine winzige Küche eingerichtet, die Diele diente den meisten als Esszimmer.
Unser Freund, der Schriftsteller Otto Zoff, der frühere Inhaber dieser Wohnung, hatte uns öfter mit Schriftstellern und bekannten Journalisten zusammen eingeladen, so dass uns das Haus vertraut war. Nachdem Otto Zoff nach Italien gezogen war, hatte ein Ire die Wohnung mit der ganzen Einrichtung gemietet. Ich wusste, dass Mr. M. Planck ins Englische übersetzt hatte. Man sagte ihm eine seltene Fähigkeit nach, selbst trockenen Schriften Glanz durch seine ungewöhnliche Sprachfülle und-Schönheit zu geben. Otto Zoff sprach mit ihm von mir, sagte ihm wohl auch, dass ich ein gewissenhafter und stetiger Arbeiter sei. Das war es, was er brauchte. Mr. M. schlug mir vor, ihn im Harnack-Haus in Dahlem zu treffen. Das Harnack-Haus war als Treffpunkt für Wissenschaftler bekannt, von denen einige, besonders ausländische, dort wohnen konnten, bis sie in Berlin ein festes Zuhause gefunden hatten oder in ihr Land zurückkehrten. Den Namen hatte diese Stätte zu Ehren von Adolf von Harnack, einem durch viele Werke bekannten Theologen, der 1914 geadelt wurde, übrigens einem Onkel unseres Arvid. Ich war sehr beeindruckt, als Mr. M. mir in der großen Halle entgegenkam. Der stattliche Mann - er war etwa zwei Meter groß und trug seine einhundert Kilo mit souveräner Würde - wirkte vertrauenerweckend. Die Art, wie er von der Übersetzungsarbeit sprach, bei der ich ihm helfen sollte, ließ mich glauben, dass er kein Freund des Nationalsozialismus sei. Wie hätte mich Otto Zoff auch sonst an ihn empfehlen sollen! Wie konnte man diese Art Arbeit übernehmen, wenn man nicht das offizielle Ziel der Propagierung nationalsozialistischer Gedanken damit verfolgte, sondern ein anderes, das ich herauszufinden hoffte. Zuerst gab es ein paar eilige Artikel und Reden zu übersetzen, die „liegengeblieben“ seien wegen einer bösen Erkrankung, die ihn nicht habe zur Arbeit kommen … Aus: Greta Kuckhoff, Vom Rosenkranz zur Roten Kapelle. Ein Lebensbericht. Verlag Neues Leben Berlin, 1972
Die letzten Briefe von Adam Kuckhoff
Ich habe mich — nicht leichten Herzens — zum Abdruck dieser Briefe entschlossen. Aber es blieb so wenig aus den letzten Jahren: sie sind Zeugnis seiner warmen, an allem teilnehmenden Menschlichkeit bis zum letzten Tage. Greta Kuckhoff. Berlin, September 1945.
Plötzensee, den 5. August 1943
Meine Greta! Ich weiß, daß es schwerer für Dich ist, als wenn Du mit mir gegangen wärst, aber ich muß mich freuen, daß Du - ich hoffe es — bleibst: für den Sohn, für alles, was nur in Dir so lebendig ist, ich fühle es ganz klar voraus, ich weiß „wie Du leben wirst", wenn Du wieder in Freiheit bist für das, was alle Deine Briefe atmeten. Gern und für viele fruchtbar hätte ich weitergelebt, so sinnlich gegenwärtig ist mir gerade heute so mancher Augenblick mit Dir, mit Euch — der Feuerkogel! — gewesen. Aber der Sinn eines Lebens fließt aus ihm selbst, aus allem, was es gewesen ist, wirklich gewesen ist. Es war mit Dir — ich wiederhole es noch einmal — die volle Erfüllung. Wie viele Menschen können von sich sagen, daß sie so glücklich gewesen sind. Was noch? „Nichts blieb, so wie wir zusammengingen ..." So war es, als wir uns zuletzt sahen und so ist es geblieben. Was noch in diesen Stunden zu sagen wäre, steht in den Briefen an die anderen, ich brauche es nicht zu wiederholen. Falls ich für die Deinen nicht Zeit und Raum habe, sag ihnen, wieviel sie mir, in: besondere auch Mutters Briefe, gewesen sind und wie glücklich ich bin, Dich ihnen erhalten zu wissen. Es ist 3 Uhr, kurz bevor ich gehe, schreibe ich Dir den letzten Gruß.
***
Berlin, den 5. August 1943
Mein lieber Sohn Ule! Ich weiß, wie lieb Du mich hast – denn Deta nanntest Du mich einmal – und Du bist, so groß und verständig Du bist, noch zu klein, um es ganz zu verstehen, was ich Dir schreibe, und doch muß ich es Dir sagen, damit Du es einmal weißt: Du wirst Deinen lieben Vater nicht wiedersehen. So gern hätte er Dich aufwachsen sehen, er hat Dich auch so lieb, so lieb gehabt, so viel Schönes wollte er noch mit Dir erleben und Dich lehren: immer, wenn er etwas las, hat er dabei an Dich gedacht. Aber er weiß, daß Du ihn, so jung Du noch bist, nie vergessen wirst, er weiß auch, er hofft, daß alles das, was er Dir nicht sein konnte, Deine gute Mutter sein, daß Du von ihr, was ich war und wie lieb ich Dich hatte, erfahren wirst. Deine Mutter – halte sie hoch und vergilt ihr, was ich auch ihr nicht mehr sein kann. Sie ist das köstlichste Gut, das ich gewann, sie wird für Dich, wenn sie Dir erhalten bleibt, das köstlichste sein. Nach ihr Dein lieber, großer Bruder – nein, Du bist nicht arm, wenn ich jetzt auch von Dir gehe. Wie froh bin ich, daß Dein Herz mein Bild noch bewahren konnte, Du liebes Glück, für das ich Deiner Mutter mehr als für alles danke. Grüße die lieben Großeltern, Tante Käte, Harald, Karin, Onkel Erhard – die sind mir alle so lieb geworden. Ich küsse Dich mit ganzer Vaterliebe. Dein Adam-Vater
Ule Kuckhoff machte beim Fernsehen der DDR in Adlershof Karriere: Regieassistent, Regisseur, Redakteur. Seine Mutter Greta hatte nach dem Mauerbau 1961 das See-Grundstück Oranienburger Straße in Wandlitz übernommen. 1973 zog Greta Kuckhoff nach Berlin in das Hochhaus Leninplatz 28. Das Anwesen blieb im Familienbesitz. Ule Kuckhoff starb am 16. August 1989. Sein Grab befindet sich auf dem Friedhof in Wandlitz.
***
An Armin-Gerd Kuckhoff
Plötzensee, den 5. August 1943
Mein lieber Sohn! Es ist soweit: In vier Stunden! – Als Du gegangen warst, hatte ich mir Vorwürfe gemacht, daß diese Begegnung zu sehr auf Leben gestellt war. Das letzte Mal – ich sah Dich noch weggehen, Deinen lieben schmalen Rücken. Ich habe es Dir oft gesagt, ich wiederhole es in dieser Stunde: Du hast mir nur Freude gemacht, wie ich überhaupt das Glück hatte, in meinen nahen Menschen das reinste, schönste Menschentum zu erleben. In Dobrilugk – welche Fügung – konnte ich Dir alles so sagen, wie selten eine Stunde es gewährt. Wozu es jetzt wiederholen. Ich habe bis zuletzt an den Dingen gearbeitet, zu denen ich seit der Schule nicht gekommen war: Astronomie, Mathematik, Physik, und Du kannst Dir denken, wie oft ich an Dich gedacht (bei meinen Sachen ist ein Aufsatz über die »realen« Zahlen, hoffentlich könnt Ihr ihn entziffern). Das Wahre, das Große, das Schöne, es hält sich bis zuletzt, und nur dies. Grüße Edith und die Kinder, wie freute mich ihr Bild. Ich weiß, wie Du leiden wirst, ich weiß, wie Du mich liebst. Dein Vater
Armin-Gerd Kuckhoff (1912-2002) war der ältere der beiden Söhne von Adam Kuckhoff. Er entstammt dessen erster Ehe mit der Schauspielerin Mie Paulun, die nach der Scheidung den Schauspieler Hans Otto (1900-1933) heiratete. Armin-Gerd Kuckhoff studierte Theaterwissenschaften und war von 1961 bis 1969 Rektor der Theaterhochschule Leipzig. Im Jahr 2000 heiratete er die Kinderbuchautorin und Chefredakteurin der DDR-Zeitschrift Bummi, Ursula Böhnke-Kuckhoff (1927-2020), mit der er bis zu seinem Tod zusammenlebte. Ursula Böhnke-Kuckhoff starb am 7. August 2020 in Berlin.
Die Briefe wurden in „Adam Kuckhoff zum Gedenken“, Aufbau-Verlag Berlin, 1946, veröffentlicht. Auf der nachfolgenden PDF finden Sie all jene Briefe, die Greta Kuckhoff für diese Publikation ausgewählt hatte.
Wilhelmshöher Straße Nr. 17
Erika Gräfin von Brockdorff (1911-1943)
Am 13. Mai 1943 wurde Erika Gräfin von Brockdorff in Plötzensee hingerichtet. Achtzig Jahre danach ist die Gedenkbranche noch immer nicht in der Lage, eine überzeugende Lebensgeschichte vorzulegen. Das Thema ist abgehakt. 2006 ein Stolperstein in der Wilhelmshöher Straße Nr. 17 und 2011 die Benennung der öden Vorfahrt am Bahnhof Südkreuz in Erika-Gräfin-von-Brockdorff-Platz.
Der Widerstand gegen die NS-Diktatur war illegal, unkoordiniert und heimlich. Erst am letzten März 1943, als Greta Kuckhoff und Erika von Brockdorff einen Tag und eine Nacht in der gleichen Zelle in der Kantstraße verbrachten, erfuhr Greta Kuckhoff von Erika mehr in dieser kurzen Zeit als in den Jahren des nachbarlichen Zusammenwohnens in der Wilhelmshöher Straße in Friedenau, wo wir uns, ahnend, daß wir in der konspirativen Arbeit viele Gemeinsamkeiten hatten, bewußt nicht zu häufig trafen. All das macht es zusätzlich schwer, die Aktivitäten der Widerständler zu rekonstruieren und einzuordnen. Erst Jahrzehnte später fällt Greta Kuckhoff wieder ein Satz von Erika von Brockdorff ein: Er soll mich, wenn er zurückkommt, klüger, selbständiger und an Aktionen gereift vorfinden.
Wie ist das zu verstehen? Wäre das nicht ein Ansatz für die Geschichte der Erika von Brockdorff? Immer wieder wird sie als eine schöne, fröhliche, lebenslustige Frau beschrieben, die noch kurz vor ihrer Hinrichtung in einem Abschiedsbrief an ihren Mann Cay-Hugo Graf von Brockdorff schrieb: Lachend will ich mein Leben beschließen, so wie ich das Leben lachend am meisten liebte und noch immer liebe. War Erika von Brockdorff naiv, gar ein einfältiges Gemüt? Das alles bleibt bis heute im Dunklen.
Sie wird am am 29. April 1911 als Tochter eines Postbeamten in Kolberg geboren. Nach der Mittleren Reife besucht sie die Handelsschule in Magdeburg. Mit 18 Jahren kommt sie 1929 nach Berlin, arbeitet als Hausangestellte und Vorführdame. Anfang der dreißiger Jahre lernt sie Cay-Hugo Graf von Brockdorff (1915-1999) kennen, der an den Vereinigten Staatsschulen für Freie und Angewandte Kunst in Berlin-Charlottenburg neben Fritz Cremer, Gustav Seitz und Waldemar Grzimek zu den Schülern von Bildhauer Wilhelm Gerstel gehört. Er ist der Sohn von Landgerichtsrat Ludwig Otto Leopold Graf von Brockdorff (1881-1938) und seiner Ehefrau Erika Hildegard Therese Martha von Spalding (1892-1940). Die 26jährige Erika Schönfeldt ist schwanger. 1937 wird schnell die Hochzeit mit dem 22jährigen Kunststudenten arrangiert. Bereits am 28. Oktober 1937 kommt Tochter Saskia zur Welt. 1938 zieht das junge Ehepaar mit Tochter an den Savignyplatz Nr. 5 in Charlottenburg. Erika Gräfin von Brockdorff wird Stenotypistin und arbeitet ab Frühjahr 1941 in der Reichsstelle für Arbeitsschutz. Kurz danach ziehen der freischaffende Bildhauer und die Bürofachkraft 1941 vom teueren Savignyplatz in die preiswerte Wohnung der ehemaligen Einküchenhäuser in Friedenau, Wilhelmshöher Straße Nr. 17.
Auf einem Kostümfest der Akademie der Künste hat das Ehepaar 1938 den Schauspieler Wilhelm Schürmann-Horster (1900-1943) kennengelernt. Aus dieser Bekanntschaft mit dem KPD-Mitglied entwickelt sich ein Gesprächskreis. Nachdem Ehemann Cay-Hugo Graf von Brockdorff als Soldat an die Ostfront abkommandiert war, hält seine Frau weiterhin Kontakt mit den Widerständlern, darunter auch zu Hans Coppi (1916-1942), der 1941 in ihrer Wohnung ein Funkgerät deponiert. Im August 1942 springt der für den sowjetischen Geheimdienst tätige Kommunist Albert Hößler (1910-1942) in Wehrmachtsuniform hinter den deutschen Linien mit dem Fallschirm ab und gelangt nach Berlin. Erika von Brockdorff nimmt ihn in der Wohnung Wilhelmshöher Straße Nr. 17 auf. Ihm gelingt es, einen Funkspruch an den Auslandsnachrichtendienst des sowjetischen Geheimdienstes NKWD zu senden. Die Abwehr des Oberkommandos der Wehrmacht kann diesen dechiffrieren.
Im September 1942 werden Erika von Brockdorff, Albert Hößler und Hans Coppi verhaftet. Im ersten Prozess gegen Erika von Brockdorff vor dem Reichskriegsgericht verurteilt sie Oberstkriegsgerichtsrat Dr. Manfred Roeder im Dezember 1942 zu zehn Jahren Zuchthaus. Da die Gestapo während der Verhöre wohl eine Liaison herausfand, wird ihr sexuelle Abhängigkeit von dem eingeschleusten sowjetischen Funker vorgeworfen. Ihr eigentliches Motiv läge nicht in ihrer politischen Weltanschauung, sondern in ihrer sexuellen Hörigkeit. Erika von Brockdorff aber will dies nicht hinnehmen. So kommt es im Januar 1943 zu einem weiteren Prozess unter Vorsitz von Generalstabsrichter Dr. Karl Schmauser. Er begründet seinen Strafantrag damit, Erika von Brockdorff habe die Kriegsziele der Sowjetunion, die Zerstörung des Großdeutschen Reiches und den beabsichtigten Tod des Führers gebilligt. Ihre Handlungen seien auf ihre politische Einstellung zurückzuführen, daher könne man auch nicht von Beihilfe sprechen, es handle sich um vollendeten Landesverrat. Am 13. Mai 1943 wird das Todesurteil in Plötzensee vollstreckt.
Cay-Hugo Graf von Brockdorff wird zu vier Jahren Zuchthaus verurteilt. Tochter Saskia kommt in ein Kinderheim. Nach der Entlassung aus dem englischen Kriegsgefangenlager in Italien zieht er im November 1946 in die Sowjetische Besatzungszone. 1947 wird er Referent für Bildende Kunst und Museen in der Deutschen Verwaltung für Volksbildung. Fünf Jahre nach der Hinrichtung von Erika von Brockdorff heiratet er 1948 Eva Lippold geborene Rutkowski (1909-1994), die Parteisekretärin der SED im Schutzverband Deutscher Autoren (Schriftstellerverband der DDR) ist. Er zieht mit ihr und Tochter Saskia nach Kallinchen bei Zossen. Cay von Brockdorff promoviert. Die zweite Frau von Brockdorff versucht unter dem Namen Eva Lippold ihre Erfahrungen aus dem Widerstand gegen den Nationalsozialismus literarisch zu verarbeiten. Cay von Brockdorff wird Chefredakteur der Zeitschrift Bildende Kunst (1953/54), stellvertretender Generaldirektor der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden (1955/56) und Direktor des Märkischen Museums Berlin. Er stirbt am 17. Januar 1999.
Wilhelmshöher Straße Nr. 17-20
Baudenkmal Einküchenhäuser
Entwurf Architekt Albert Gessner
Bauherr Einküchengesellschaft der Berliner Vororte GmbH
1909-1912
Die Einküchenhäuser waren ein Teil der Lebensreformbewegung, die weite Bereiche des liberalen Bürgertums um 1900 erfasst hatte. Sie waren ein Versuch, das bürgerliche Leben und Wohnen zu erleichtern. Die einzelnen Wohnungen hatten keine eigenen Küchen. Sie wurden von Zentralküchen im Untergeschoss des Hauses versorgt. Nach wenigen Jahren wurden die Zentralküchen aufgegeben. Die Mieter betrieben wieder individuelle Hauswirtschaft in nachträglich eingebauten Küchen.
Die bauliche Anlage besteht aus drei viergeschossigen Hauseinheiten: Zwei Einheiten (Nr. 17 und 18-19) im Westteil der Anlage bilden gemeinsam einen Straßenhof, von dem aus die beiden Häuser jeweils seitlich zugänglich sind.
Beide Häuser sind durch einen eingeschossigen, offenen, überdeckten loggiaartigen Bau miteinander verbunden. An das östliche der beiden Straßenhofhäuser ist spiegelbildlich die dritte Hauseinheit (Nr. 20) angebaut; das dritte Haus ist ebenfalls seitlich (hier vom Bauwich aus) zugänglich. Die Hauseinheiten haben jeweils eine Breite von 21 und eine Tiefe von 29 Metern. Über eine tiefe Eingangshalle erreicht man einen Aufgang, der von einem inneren Lichthof erhellt wird und sich in zwei Zugänge zu den beiden getrennten Treppenhäusern gabelt, die das „Vorderhaus“ und das „Hinterhaus“ erschließen. Das straßenseitige Treppenhaus erschließt zwei Wohnungen pro Geschoß, das hofseitige drei. Geßner hat die Treppenhäuser durch einen Lichthof getrennt, um die innenliegenden Dielen, Flure und Bäder der Wohnungen natürlich belichten und belüften zu können, was ihm als Reformator des Berliner Mietshausbaus sehr wichtig war. Insgesamt haben die drei Hauseinheiten 58 Wohnungen, von denen 13 als 2-, 30 als 3-, neun als 4- und sechs als 5-Zimmer-Wohnungen ausgelegt sind. Die Wohnungen wurden über Speiseaufzüge von der Zentralküche versorgt.
Ein Teil des Dachgeschosses war als Loggia und Terrasse für das Luft- und Lichtbad ausgebildet. Die Baukörper dieser Häuser sind stark durch kubische Vor- und Rücksprünge (Risalite, Erker, Loggien, Terrassen, Balkons) gegliedert und mit steilen Walmdächern gedeckt, die sich U-förmig um die Lichthöfe ziehen. Die großen Dachflächen sind durch Querhäuser und Gauben belebt. Die Fassaden sind - wie stets bei den Reformmietshäusern von Albert Geßner (1868-1953) - frei von historischen Stilzitaten und stattdessen durch differenzierte Fenster- und Loggienöffnungen frei gegliedert. Landesdenkmalamt Berlin
Wilhelmshöher Straße Nr. 22
Fotografien der zerstörten Rückseite des Hauses in der Wilhelmhöher Straße 22, aufgenommen von Herwarth Staudt am 15. März 1950 und am 18. Oktober 1952 im Auftrag des Baulenkungsamtes Schöneberg.
Weiteres in Vorbereitung
Wilhelmshöher Straße Nr. 23
Fotografie des zerstörten Hinterhauses in der Wilhelmshöher Straße 23, aufgenommen von Herwarth Staudt am 29. Dezember 1949 im Auftrag des Baulenkungsamtes Schöneberg.
Weiteres in Vorbereitung
Wilhelmshöher Straße Nr. 29
Fotografien des zerstörten Hauses in der Wilhelmshöher Straße 29, aufgenommen von Herwarth Staudt am 22. September 1951 und am 5. Februar 1952 im Auftrag des Baulenkungsamtes Schöneberg.
Weiteres in Vorbereitung